Reinhard Gunsch und Karl Tragust, Freie Universität Bozen und Autonome Provinz Bozen
In this paper the authors review the expectations of the “practice field” of the social services in Southern Tirol in the light of the “Recommendations for a university-based study programme for social work” (Empfehlungen zum universitären Studiengang für Soziale Arbeit), published by the “Autonomous Province of Bolzano“.
They stress the mutual relationship -“give and take” - between the two learning areas (Lernfelder) i.e. the practice field and the university setting in the process of professional education and training of Social Workers and Social Pedagogues.
In this context the “practice field” offers various means to the University in order to enhance the development of “Social Work” both as a professional activity and an academic discipline. Additionally the authors express their gratitude to Walter Lorenz and underline his contributions to and impact on the practice field in the region.
Vorweg vielen Dank an ECCE: Mit großer Freude verfassen wir - auch im Namen des Südtiroler Sozialwesens - einen Beitrag für diese Festschrift. Prof. Walter Lorenz, der seit 2001 an der Fakultät für Bildungswissenschaften der Freien Universität Bozen, Italien, lehrt, ist in kurzer Zeit zu einem wichtigen Bezugspunkt und wertvollen Partner für das Sozialwesen in Südtirol geworden. Die fruchtbare Verbindung von Ausbildung, Forschung und Praxis der Sozialarbeit ist ihm ein großes Anliegen. Die verschiedenen sozialen Einrichtungen und Dienste Südtirols wissen nicht nur um seine Fachlichkeit, sondern auch um seine Disponibilität in Fragen der Praxisberatung/Supervision und der Organisationsentwicklung Bescheid und holen sich ihn als wertvollen Berater ins Haus. Genauso bringt sich Prof. Lorenz immer wieder in die sozialpolitische Planungs- und Programmierungstätigkeit des Landes Südtirol ein; in den verschiedenen Gremien wird er als systemorientierter Berater - mit einem besonderen Blick auf die Bedürfnisse der KlientInnen des Sozialwesens und auf die Dimension der Partizipation der BürgerInnen - wertgeschätzt. So bringt er sich bei verschiedenen Tagungen und Kongressen im Lande ein, bezieht das Südtiroler Sozialwesen in internationale Vergleichsstudien [2] ein , berät die Landesregierung im Rahmen des Landesbeirates für das Soziale – im Rat der Weisen – im Rahmen der Steuerungsgruppe „Pflegesicherung“ – im Fachplan „Menschen mit Behinderungen und wird somit bei seinen unzähligen internationalen Auftritten natürlich auch zum „Botschafter der Südtiroler Sozialarbeiterlandschaft“
Praxisorientierte Ausbildung im Rahmen der Hochschulausbildung für SozialarbeiterInnen und SozialpädagogInnen ist mehr als die Abwicklung von angeleiteten Praktika in den Bezugsdiensten während der Ausbildungszeit; sie ist als wechselseitige Investition zu interpretieren, von der die Universität und der Sozialbetrieb profitieren, als gegenseitiges „Geben und Nehmen“ zwischen Sozialeinrichtungen und Ausbildungsstätte zu verstehen, mit dem gemeinsamen Ziel, für die Region, deren Menschen und die wissenschaftliche Disziplin das bestmögliche Resultat zu erlangen: darüber haben wir uns mit Prof. Lorenz häufig, seit seiner Berufung nach Bozen/Brixen, unterhalten. Dieser Aufsatz soll als Verschriftlichung unserer gemeinsamen Überlegungen verstanden werden.
Die beiden Schlüsselbegriffe [3] , die dabei immer wieder unseren Dialog leiten (siehe graphische Darstellung unten), sind:
Praxisnähe der Universität;
Berufs- und Sozialkompetenz als Herzstück der beiden Studiengänge für Soziale Arbeit und Sozialpädagogik (siehe dazu auch das Schema).
Die Ebenen des „Könnens - des Seins – des Erprobens“ verstehen wir als die zentralen Lerndimensionen im Rahmen der Ausbildung zur professionellen Arbeit im Sozialwesen.
Die Praxisausbildung ist die Nahtstelle zwischen theoretischer und praktischer Ausbildung, sie ist das gegenseitige Hineinfühlen, Hineindenken und Hineinwirken der Ausbildung in die Sozialeinrichtungen und umgekehrt der Sozialeinrichtungen in die Ausbildung. Auf diese Weise wird der Auftrag der beruflichen Qualifizierung von Studierenden und künftigen MitarbeiterInnen von den zwei Partnern wahrgenommen: der Universität als Lernort der Theorie und der Theorie/Praxis und der Sozialeinrichtung als Lernort für die Praxis. Das erfolgt in Anlehnung an das duale Prinzip [4] , das sich in der Berufsausbildung und in der Fachhochschulausbildung in vielen deutschsprachigen und angelsächsischen Ländern bewährt hat. Aus unserer Sicht ergibt sich so im Lernverhältnis eine Mischung zwischen Ausbildungstätigkeit und Personalentwicklung. Der Sozialbetrieb selbst versteht sich als lernende Organisation, in der das organisationale Lernen [5] gegenüber dem individuellen Lernen zunehmend an Bedeutung gewinnt und in der ein positives Menschenbild vorhanden ist. Die MitarbeiterInnen werden grundsätzlich als Wissende und Könnende angesehen und stellen den größten Reichtum für die Organisation dar.
Die Ziele der Praxisausbildung sind:
Entwicklung der Fähigkeit berufliche Problemstellungen in ihrem Kontext zu erkennen, zu formulieren, zu beurteilen und zu lösen;
Prüfung von theoretischen Ansätzen auf ihre praktische Unsetzung hin;
Reflexion und kritische Bewertung des eigenen beruflichen Handelns;
Entwicklung einer realistischen beruflichen Identität;
Entwicklung einer ausgeprägten Ich-Stärke.
Praxisausbildung für SozialarbeiterInnen und SozialpädagogInnen ist mehr als das Kennenlernen der Berufswelt durch strukturierte Praktikas und ist nicht mit der „alten Meisterlehre“ zu verwechseln. Vielmehr bewegen wir uns hierbei hin zum „problemorientierten Lernen“ und „Expertenlernen“ auf der Grundlage der Theorie des Radikalen Konstruktivismus (Heinz von Foerster) [6] .
Mögliche Elemente der Praxisausbildung sind:
bereits vorhandene Arbeitserfahrungen im Sozialbereich bei Studiumsbeginn,
studienbegleitende Berufsarbeit,
die Lehrgangsgestaltung isolierter Lehrfächer und Fakten stärker durch reale Situationsbeschreibungen/-analysen und konkrete Problemstellungen der Sozialen Arbeit ersetzen,
realitätbezogenes Projektstudium,
Skillslabaroatorien einrichten – ein Lernmodell des Trainings und der Simulation auf der Grundlage realer Beispiele,
Mitarbeit der StudentInnen bei Forschungsprojekten insbesondere durch die Förderung der Praxisforschung - Aktionsforschung,
Einsatz von PraktikerInnen als DozentInnen/Lehrbeauftragte.
Praxisorientierentierte Ausbildung bringt eine neue Qualität in das Studium: sie ist wissenschaftsbezogen, praxisnah und offen für die neuen Herausforderungen in einer Zeit des raschen gesellschaftlichen Wandels. Auch die neue, auf europäischer Ebene gewollte, Hochschulreform, die in Italien im August 2000 vom Ministerrat gutgeheißen worden ist, weist in diese Richtung. „Die Hochschulreform beabsichtigt die universitären Ausbildungswege der Arbeitswelt näher zu bringen. Dies ist nicht nur eine italienische Sorge: es ist eine zentrale Notwendigkeit in ganz Europa. Es wäre falsch, sie als Unterordnung in Bezug zur Nachfrage des Marktes zu interpretieren: es handelt sich darum, dass die Gesellschaft jene Kompetenzen erhält, die sie braucht, um sich zu entwickeln.“ [7] Der Vizeminister L. Guerzoni sagt weiters in dem Interview: “Die Qualität wird nicht an den Stunden und Minuten, noch an den auswendig gelernten Seiten zu messen sein.... Wichtig ist hingegen, dass die Studierenden bereits während der Studienzeit direkt und intensiv mit der Arbeit in Kontakt kommen, die sie später ausüben werden. Dazu hat jeder Studiengang eine bestimmte Anzahl von Studienkrediten zur Verfügung, die für die Querschnittskompetenzen reserviert sind. Die jeweilige Fakultät verfügt über viel Autonomie bei der Gewichtung der Kredite“ [8] .
Die Gestaltung des Sozialarbeiterstudiums soll sich an den Bedürfnissen des Klientels und des Südtiroler Gemeinwesens, an den differenzierten Anforderungen des Berufsalltages der SozialarbeiterInnen und der SozialpädagogInnen, an den Notwendigkeiten unserer sozialen, sanitären und soziokulturellen Dienste orientieren.
„Praxisausbildung darf nicht zu einer Art „Nachsozialisierung“ degenerieren, in der PraktikantInnen und/oder BerufsanfängerInnen erst einmal all das vergessen, was sie an der Universität gelernt haben“ [9] .
Die Vertreter des lokalen Sozialwesens messen der Praxisausbildung des zukünftigen Personals große Bedeutung zu und sie verfolgen mit Aufmerksamkeit, welchen Stellenwert - qualitativ und quantitativ - die Praxisausbildung in Zukunft innerhalb des universitären Ausbildungsmodells innehaben wird. Im Rahmen der theoretischen und praktischen Ausbildung erwerben die Studierenden die Fähigkeiten und Kompetenzen, die sie zur Erfüllung der Anforderungen der beruflichen Praxis benötigen. Im Lernprozess der Hochschulausbildung für SozialarabeiterInnen und SozialpädagogInnen geht es um den Aufbau sozialwissenschaftlicher Kenntnisse, um die Entwicklung handlungsleitender Kompetenzen und um die Integration und Nutzbarmachung dieses Wissens für die Bearbeitung komplexer Praxisprobleme. Um den Ansprüchen in der sozialarbeiterischen Praxis genügen zu können, ist die gleichzeitige Auseinandersetzung mit der beruflichen Identität und der Persönlichkeitsbildung eine wesentliche Voraussetzung für das berufliche Handeln.
Lerninhalte und Anforderungen der Ausbildung müssen in Übereinstimmung mit den Erfordernissen der beruflichen Praxis stehen. Der Abstimmungsbedarf von Ausbildungszielen und Arbeitserfordernissen mit den sich verändernden beruflichen Herausforderungen kann nur in enger Kooperation erreicht werden. Verantwortliche der Sozial-, Gesundheits- und Erziehungsdienste (alle die Praktikumsplätze anbieten) und der Universität müssen daher gemeinsam Führungs- und Ausbildungsaufgaben für die Sicherstellung der Qualifikation von AusbildungsabgängerInnen übernehmen. Dies gelingt nur, wenn im Curriculum die Gleichwertigkeit zwischen Theorie und Praxis als Grundlage der Qualifikationsüberprüfung der Studierenden festgelegt ist. Die Dienste werden um so mehr auf die Anfragen der Universität, die Ausbildung mitzugestalten (Praktikumsprojekte zu artikulieren, Tutorentätigkeit, Freistellung von PraktikerInnen für Lehraufträge,...) eingehen, je mehr sie die Gewissheit haben, dass die wissenschaftlich fundierten Theorievermittlung und die praktischen Ausbildung auf universitärer Ebene gleichwertig sind und diese Gleichwertigkeit fest in den Lehrplänen und in der Ausbildungspraxis verankert sind. Als Dienste, auch in Abstimmung mit den Berufsverbänden, werden wir auch in Zukunft keine Bemühungen scheuen, damit die Anforderungen und Qualifikationskriterien der Ausbildung allgemein und der Praxisausbildung insbesondere auf die aktuellen Anforderungen unserer Dienste ausgerichtet sind.
Der Umfang und die Komplexität der sozialen Problemlagen, die die Gesellschaft und die beauftragte Institutionen und Dienste des Sozial- und Gesundheitswesens zu bewältigen haben, nehmen zu und stellen hohe Anforderungen an die Ausbildner. Nicht nur die StudentInnen, sondern auch die DozentInnen und die TutorInnen in den Diensten müssen ihre Wissens-, Handlungs- und Persönlichkeitskompetenz ständig ausbauen mit dem Ziel, die sich kontinuierlich verändernden Problemkonstellationen der Sozialen Arbeit und die sich wandelnden Dienstrealitäten in Ausbildung und Praxis professionell zu bearbeiten.
Die Qualifikationsanforderungen, die den Diensten wichtig erscheinen, sind:
Die handlungsleitende Anwendung von fachspezifischem und methodischem Wissen spielt eine zentrale Rolle bei der Beurteilung des Praktikanten und bei der Beauftragung von MitarbeiterInnen. Wir möchten, dass PraktikantInnen und BerufseinsteigerInnen gute Voraussetzungen für die Umsetzung von Wissen, Können und Handlung in mehrdimensionalen Organisationssystemen mitbringen. Die Dienste erwarten sich von den Studierenden und den künftigen MitarbeiterInnen, dass sie Problemstellungen der Situation angemessen und mit einer geeigneten Methodik bearbeiten können. Die arbeitsorganisatorischen Fähigkeiten sind dafür bedeutend, da diese eine wesentliche Voraussetzung für das professionelle Handeln in komplexen Bezügen und unter schwierigen, organisatorischen Rahmenbedingungen darstellen. Der/die Auszubildende soll weiters die Fähigkeit besitzen, die Komplexität der Problemanalyse einzugrenzen und in den verschiedenen Situationen angemessene Prioritäten setzen zu können. Die Verwirklichung des Praxisbezuges und der Praxisintegration werden dadurch realisiert , dass der/die StudentIn mehrere typische Arbeitsfelder der Sozialen Arbeit (Soziale Arbeit in der Heimerziehung - in der offenen Kinder- und Jugendarbeit - in der Verwaltung, Arbeit mit behinderten Menschen, Arbeit mit psychisch kranken bzw. suchtabhängigen Menschen, Arbeit mit straffälligen Personen, Arbeit mit alten Menschen, Arbeit im Gesundheitswesen, Arbeit im soziokulturellen und mehrkulturellen Bereich) durchlaufen muss, um die Anwendung des Fachwissens möglichst breit und fundiert kennen zu lernen. Dabei kommt es darauf an, Methoden zu üben, Zusammenhänge zu erkennen und zu beurteilen. Immer mehr stehen die außerfachlichen Qualifikationen im Vordergrund, wodurch der/die Studierende zusätzlich Methodenkompetenz erwirbt. Je breitangelegter die Grundausbildung von SozialarbeiterInnen und SozialpädagogInnen ausgestaltet wird, umsomehr muss dem/der künftigen MitarbeiterIn die Fähigkeit vermittelt werden, fachliche und methodische Transferleistungen von einer Klientengruppe zur anderen, von einem Arbeitsfeld zum anderen und von einer Leistung zur anderen vollziehen zu können.
Ein weiterer Qualifikationsschwerpunkt, der den Diensten am Herzen liegt, kann unter dem Begriff Persönlichkeitskompetenz subsummiert werden. Es handelt sich dabei um das zielorientierte Arbeiten in multiprofessionellen Teams – auch mit Fachleuten anderer Organisationen - , um die berufsspezifische Positionierung in einer sich kontinuierlich wandelnden Organisation und um eine ausgeprägte Belastbarkeit und Verantwortung im Umgang mit Menschen und Konflikten. Stresssituationen müssen auch im Zusammenhang mit Enttäuschungen, Frustrationen und Verletzungen angegangen werden können. Solche schwierige Arbeitssituationen können nur durch professionelle Verhaltensweisen und ausgereifte berufliche Haltungen bewältigt werden. Die Praxisausbildung soll weiters die selbstreflexive Kompetenz der StudentInnen fördern und ihre lebenslange Lern- und Entwicklungsbereitschaft stärken. Die Persönlichkeitsbildung der Studierenden wird u.a. durch die Begleitung eines/erTutorIn in konkreten Berufssituationen innerhalb der Sozialbetriebe gefördert und die Schlüsselqualifikationen werden „on the job“ erworben. Durch das Praktikum in den Diensten, durch das problemorientierte Lernen, das Üben in den Laboratorien und durch konkretes Projektstudium in verschiedenen Feldern der Sozialen Arbeit werden Interventions- und Arbeitstechniken eintrainiert und Möglichkeiten geschaffen, um realitätsbezogene Entscheidungen fällen zu lernen. Besonderen Wert legen die Dienste darauf, dass künftige MitarbeiterInnen Lernangebote erhalten, die sich auf konkretes Tun-Erleben-Erfahren in dem Lernbereich Ästhetik und Kommunikation (Bildnerisches Gestalten, Musik-Bewegung und Tanz, Umgang mit neuen Medien, Animation-Pantomime-Theater), in dem Lernbereich Sozialforschung (Umgang mit EDV-Programmen und Datenmaterial, Erstellung und Interpretation von Statistiken,..) und dem Lernbereich Psychologie und Soziale Arbeit (Selbsterfahrung, Kommunikation und Gesprächsführung, Beratung, Moderation und Mediation...) beziehen und hiermit ein methodisches Können entwickeln, ihre Kreativität und Neugierde ausbauen und ihre Persönlichkeitsstruktur festigen .
Von der SozialarbeiterInnen- und SozialpädagogInnenausbildung verlangen die Dienste weiters, dass durch die Förderung der Wissens- und Handlungskompetenz eine wesentliche Voraussetzung für die Entwicklung der beruflichen Rolle, für die Auseinandersetzung mit der beruflichen Ethik und der sozialarbeitsspezifischen Haltung geschaffen wird. Fachleute der Sozialen Arbeit müssen in der Lage sein, sich so zu verhalten, dass sie in ihrem beruflichen Setting einen professionellen Umgang mit Menschen und Systemen zum Ausdruck bringen.
Die an die Berufs- und Praxisrealität anknüpfenden Qualifikationsanforderungen können vor allem in der Praxisausbildung überprüft und beurteilt werden. Es darf dabei nicht nur um das Bestehen der Anforderungen während des Praktikums gehen, sondern die Praxisausbildung soll auch für eine globale Beurteilung der beruflichen Eignung von angehenden SozialarbeiterInnen und SozialpädagogInnen dienlich sein.
Die Studiengänge für Soziale Arbeit sollen sich an jene Personen richten, die für die berufliche Sozialarbeit besonderes Interesse und Ansätze beruflicher Eignung mitbringen. Die direkten sozialarbeiterischen Erfahrungen, die in verschiedenen Formen gemacht werden oder gemacht worden sind, sollten als besondere Zulassungskriterien bzw. als gewichtigere Bildungskredite anerkannt werden. Das Aufnahmeverfahren ist auch daraufhin anzulegen. Die Ausbildungsstätte sollte die Teilnahme von erwachsenen Personen mit signifikanten Arbeits- und Lebenserfahrungen bestärken. Auf Mütter und Väter, die in die Arbeitswelt wieder eintreten wollen, nachdem sie sich für längere Zeit der Familienarbeit zugewandt haben, sollte durch die Organisation des Lehrangebotes, durch die Maßnahmen der Studienförderung, durch Kinderbetreuungsplätze u.ä.m. Rücksicht genommen werden.
Neben den Professoren der Universität, die ebenfalls Diensterfahrungen im Sozialwesen nachweisen sollten, sollten Praktiker, die aus den Diensten kommen, Lehraufträge erhalten. Somit können qualifizierte PraktikerInnen aus den verschiedenen Bereichen des Sozialwesens ihre Erfahrungen, ihr Können und ihr Wissen an die Studierenden weitergeben. Anforderungsprofile für MitarbeiterInnen der Dienste , die in der Praxisausbildung eingesetzt werden, könnten gemeinsam mit der Hochschule entwickelt werden. Die Verantwortlichen der Universität und der Sozialen Dienste rekrutieren sodann mit vereinten Kräften, auf der Grundlage des genannten Profils, geeignete Fachkräfte, die für die Übernahme von Aufgaben der Praxisausbildung in Frage kommen könnten.
Ebenso könnte die Universität in Abstimmung mit den Sozialdiensten spezifische Weiterbildungsveranstaltungen konzipieren, die an künftige PraxisausbildnerInnen und an Fachkräfte die die betriebsinterne Einführung von neuen MitarbeiterInnen übernehmen, gerichtet sind. Die Funktion der TutorIn und MentorIn sollte sowohl für die betriebsinterne Karriere- und Gehaltsentwicklung förderlich sein, als auch für weiterführende Studien an der Universität in Form von Studienkrediten angerechnet werden.
Die Qualifikationsanforderungen für AbgängerInnen der universitären Ausbildung sollen kontinuierlich auf die Erfordernisse der Dienste und der Berufsfelder abgestimmt werden. Die Studienpläne werden mit aller Transparenz den Sozialdiensten bekannt gemacht und es besteht von Seiten der Universität die Bereitschaft der curricularen Weiterentwicklung von Ausbildungsteilen aufgrund der Notwendigkeiten der Praxisfelder. Auch in der theoretischen Ausbildung ist auf den Einbezug der berufspraktischen Problemstellungen zu achten. Hierzu bedarf es einer offenen, auf echten Dialog fußenden Zusammenarbeit zwischen der Fakultät und dem örtlichen Sozialwesen im Rahmen eines Verbindungskomitees zwischen Universität und System der sozialen Dienste, aber auch zwischen den ProfessorInnen der theoretischen Fächer, den Lehrbeauftragten, den SupervisorInnen und den TutorInnen aus den Diensten braucht es einen ebenbürtigen Austausch.
Die lokalen Sozialdienste bieten sich an, gemeinsam mit der Universität verschiedene Lernprojekte innerhalb ihres Einzugsgebietes oder ihrer Organisationsstruktur zu konkretisieren. Für die theoretischen und methodischen Studienanteile sowie die Projektberatung ist die Universität zuständig, die Projektpraxis könnte in einem Praxisfeld des Sozialwesens erfolgen.
Durch das nun mehrmals benannte Zusammenspiel und gemeinsame Vorgehen zwischen Ausbildungsstätte und Dienste des Sozialwesens würden ständig Fallbeispiele und real zu behandelnde Problemsituationen in den Unterricht einfließen. Daraus ergibt sich ein großer Reichtum an realem Lernstoff aus den Diensten, die in den Übungen und Skillslabors bearbeiten werden könnten. Umgekehrt könnten HochschuldozentInnen über diesen Weg Dienstleistungen dem lokalen Sozialwesen anbieten und somit zu wertvollen BeraterInnen und ProjektbegleiterInnen für die Dienste vor Ort werden. Genauso könnte dadurch Praxisforschung vorangetrieben werden und Untersuchungen/Studien an Forscher der Universität übertragen werden, die dann bereits Kenner der lokalen Dienstlandschaft sind. Es eröffnen sich somit innovatorische Möglichkeiten sowohl für die Theorieentwicklung und die hochschuldidaktische Praxis einerseits und die Praxisentwicklung und Theorieüberprüfung in den Praxisfeldern andererseits.
Die Diplomarbeiten werden zunehmend häufiger in Abstimmung zwischen der/dem Studierenden, der Universität und einem Sozialbetrieb erstellt und sie orientieren sich somit stärker am Berufsalltag. Das lokale Sozialwesen hat verschiedenste Arbeitsthemen und Fragestellungen zu behandeln, die von DiplomandInnen untersucht bzw. beantwortet werden. Dies ist für unser System Soziale Dienste ein großer Gewinn, andererseits erhält somit der Lernprozess rund um die Laureatsarbeit auch einen eindeutigen Anwendungsbezug. Die Arbeit könnte auch gemeinsam zwischen einem/r VertreterIn der Dienste und einer/em DozentIn der Universität betreut werden. Die Wahrscheinlichkeit, dass dann die Ergebnisse der Arbeiten in den Sozialbetrieben umgesetzt werden, würde zunehmen und dem/der StudentIn könnte es dadurch gelingen, sich eine gute Startposition für den Berufseinstieg zu schaffen. Die Praxisausbildung würde somit eine promotionsrelevante Bedeutung erfahren.
Weiters verfügt die Landesverwaltung über die Möglichkeit, die Erstellung von Diplomarbeiten mit konkretem Anwendungsbezug und lokalem Nützlichkeitscharakter finanziell zu bezuschussen. Diesen Kanal gilt es vermehrt zu nützen und, falls erforderlich, auszubauen.
Pläne und Programmierungsdokumente, Studien und Untersuchungen, Daten und Berichte und andere Materialien des lokalen Sozialwesens werden gerne der Universität zur Verfügung gestellt und sollten, wenn immer möglich, in die Ausbildung miteinfließen. Die Publikationen der Abteilung Sozialwesen werden der Universitätsbibliothek zugestellt. DozentInnen und StudentInnen können jederzeit weitere Unterlagen und Kopien anfordern. Die Fachkräfte und Verantwortlichen der Dienste, aber auch betroffene KlientInnen/Angehörige , sog. ExpertInnen aus Betroffenheit, bekunden Ihre Bereitschaft, auf Wunsch der DozentInnen, konkrete Beiträge aus der Lebens- und Dienstrealität in den Unterricht einzubringen.
Da ECCE ein Zusammenschluss verschiedener Hochschuleinrichtungen Europas ist, dessen kultureller Hintergrund einerseits auf Universitäts- anderseits auf Fachhochschulkonzepte fußt, erlauben wir uns an dieser Stelle auch einige Befürchtungen anzusprechen, die in unserem Lande in den letzten Jahren verschiedentlich artikuliert worden sind:
Eine diesbezügliche Äußerung betrifft die Akademisierung, das heißt, dass die bisher mehr oder weniger an den Notwendigkeiten des Arbeitsfeldes ausgerichteten Ausbildungen sich zu theorielastigeren Studiengängen verschieben werden.
Eine weitere, wahrscheinlich südtirolspezifische, Sorge ist die Vereinnahmung der SozialarbeiterInnenausbildung durch die Schulpädagogik und die geringe Sichtbarmachung des Sozialbereiches innerhalb der Fakultät für Bildungswissenschaften. Die Studiengänge Soziale Arbeit und Sozialpädagogik benötigen ein eigenes Profil und dürfen nicht zum Anhängsel der Kindergarten- und Grundschulpädagogik werden.
Befürchtet wird weiters, dass zukünftige SozialarbeiterInnen und SozialpädagogInnen zuwenig berufliche Handfertigkeiten mitbringen und dass die Balance zwischen Erklärungswissen und Handlungswissen nicht aufrechtzuerhalten ist; das Pendel wird drastisch in eine Richtung ausschlagen. Dies würde bedeuten, dass BerufseinsteigerInnen und Dienste auch in Zukunft den sogenannten „Praxisschock“ unvermindert ertragen müssten.
Zweifel gibt es auch, ob die BerufseinsteigerInnen in der Lage sein werden, den Anforderungen der Arbeitswelt gerecht zu werden, ohne allzu lange Einarbeitungszeiten zu beanspruchen.
Weiters sagen Kritiker, dass die universitäre Ausbildung im Sozialbereich dazu führen wird, dass das erzeugte berufliche Selbstverständnis noch weniger mit den Anforderungen der verschiedenen Arbeitsfelder der sozialen Arbeitsstellen übereinstimmen wird.
Wir beenden unseren Beitrag mit einem Zitat von Hannah Arendt [10] : „Denken und Verstehen sind bloße Vorbereitungen auf das Handeln“.
Prof. Walter Lorenz sei an dieser Stelle aufrichtig gedankt, dass er sich für „kleinräumliche“ Dialoge mit der Sozialarbeiterpraxis immer wieder Zeit nimmt und den einen oder anderen Impuls daraus in sein wissenschaftliches Arbeiten einerseits und in das operative Handeln andererseits einfließen lässt.
[1] Die beiden Autoren Dr. Gunsch Reinhard und Dr. Tragust Karl werden in ihrem Beitrag hauptsächlich auf die Sicht der Sozialen Dienste in Südtirol fokussieren. Die „Empfehlungen zum universitären Studiengang für Soziale Arbeit“ der Aut. Prov. Bozen dienen dazu als Grundlage.
[2] siehe empirische Studie von Walter Lorenz, Dario Zadra, „Dezentralisierung und Territorialisierung sozialer Dienste – Südtirol im Europäischen Vergleich “, vorgestellt im Rahmen der Tagung „ Sozialpolitik in Südtirol und Europa- Tendenzen und Chancen“ in Bozen (15-3-2005). Die Publikation steht noch aus.
[3] siehe „Empfehlungen zum universitären Studiengang für Soziale Arbeit“ (erschienen 1999, in Bozen, Herausgeber Aut. Prov. Bozen) Seite 4 und Seite 15
[4] siehe dazu Überlegungen zu dualen Studienangeboten an Hochschulen:
- Dehnbostel, P./Novak, H. Arbeits- und erfahrungsorientierte Lernkonzepte Bielefeld: W. Bertelsmann Verlag, 2000;
- Universitäten – geeignet für duale Studiengänge? Redebeitrag von Dr. Jürgen Lüthje, Präsidenten der Universität Hamburg, im Rahmen der HRK/ BDA - Fachtagung „Duale Hochschulausbildung“ am 20.03.2000 im Wissenschaftszentrum Bonn
[5] siehe Simon, Fritz B. (2006) und Sonntag, K.H. (1996)
[6] siehe Hans Rudi Fischer (1995)
[7] Auszug aus einem Interview mit dem früheren italienischen Unterstaatssekretär Luciano Guerzoni: (Ministerium für Universität und Wissenschaft MURST) erschienen in der Tageszeitung “ Corriere della sera” vom 19/12/1999
[8] ebenda
[9] H. Kersting (1997) in: Deutscher Verein für öffentliche und private Fürsorge (Hg.): Fachlexikon der sozialen Arbeit, Stichwort Praktikum (728-730), 4. vollständig überarbeitet Auflage, Frankfurt am Main 1997
[10] vgl. Arendt, H. (2002)
Aut. Prov. Bozen/Prov. Aut. Bolzano (Hg.) 1999: Empfehlungen zum universitären Studiengang für Soziale Arbeit. Bozen (I).
Aut. Prov. Bozen /Prov. Aut. Bolzano (Hg.) 2001: Essere in tirocinio-Quaderni di lavoro della scuola provinciale per le professioni sociali. Bolzano (I).
Arendt, H. 2002: Vita activa oder Vom tätigen Leben. München: Piper.
Brühlmann, J., Ludwig, I. und Schwarz Govaers, R. 2000: Der Arbeitsort als Lernort in der Ausbildung für Pflegeberufe. Aarau (CH): Sauerländer.
Corriere della sera vom 19.12.1999, Intervista con Luciano Guerzoni: (MURST- Ministerium für Hochschule und Wissenschaft - Rom/Italien)
Dehnbostel, P. (Hg.) 1992: Lernen für die Zukunft durch verstärktes Lernen am Arbeitsplatz: Dezentrale Aus- und Weiterbildungskonzepte in der Praxis. Berlin/Bonn: Bundesinstitut für Berufsbildung.
Dehnbostel, P. und Novak, H. 2000: Arbeits- und erfahrungsorientierte Lernkonzepte Bielefeld. Gütersloh: W. Bertelsmann Verlag,
Fischer, H. R. 1995: Die Wirklichkeit des Konstruktivismus. Heidelberg: Carl-Auer.
Kersting H. 1997: Stichwort „Praktikum“, in: Deutscher Verein für öffentliche und private Fürsorge (Hg.): Fachlexikon der sozialen Arbeit. Frankfurt am Main: Eigenverlag.
Lorenz, W. 1995: La formazione professionale dell'operatore socioeducativo. I diversi significati del tirocinio in Europa, in: Frabboni, F., Guerra, L. und Lodini, E. (Hg.): Il tirocinio nella formazione dell'operatore socioeducativo. Roma (I): La Nuova Italia Scientifica.
Lorenz, W. und Zadra, D. 2005: Dezentralisierung und Territorialisierung sozialer Dienste – Südtirol im Europäischen Vergleich. Noch nicht veröffentlichte Studie. Bozen (I).
Lüthje, J. 2000: „Universitäten – geeignet für duale Studiengänge?“ Redebeitrag von Dr. Jürgen Lüthje, Präsidenten der Universität Hamburg, im Rahmen der HRK/ BDA - Fachtagung „Duale Hochschulausbildung“ am 20.03.2000 im Wissenschaftszentrum Bonn.
Pestalozzi, J. H. 1781: Lienhard und Gertrud. Ein Buch für das Volk. Neuauflage bei Klinkhardt (Bad Heilbrunn) 1999.
Simon, F. B. 2006: Einführung in Systemtheorie und Konstruktivismus. Heidelberg: Carl-Auer-Systeme.
Sonntag, K.H. 1996: Lernen in Unternehmen. Effiziente Organisation der Lernkultur. München: C.H.Beck.
Dr. Reinhard Gunsch has studied psychology and educational sciences at the University of Bologna, Italy and is professional Psychotherapist (Systemic Family Therapy). He is Head of Staff Development at the Social Services Department of the Autonomous Province of Bolzano and is lecturing at the “Free University of Bolzano”, Campus Brixen (Degree Course in Social Work).
Dr. Karl Tragust has studied law at the University of Vienna, Austria. He is Director of the Social Services Department of the Autonomous Province of Bolzano and is lecturing at the ”Free University of Bolzano”, Campus Brixen (Degree Course in Social Work).
Author´s Address:
Dr Reinhard Gunsch / Dr Karl Tragust
Freie Universität Bozen / Öffentliche Verwaltung der Autonomen Provinz Bozen
Fakultät für Bildungswissenschaften / Abteilung Sozialwesen
Bahnhofstraße 16 - viale Stazione, 16
I-39042 BRIXEN (BZ)
Italien
Tel: ++39 472 014000 / ++39 471 411520
Fax: ++39 472 014009 / ++39 471 411529
Email: reinhard.gunsch@provinz.bz.it / karl.tragust@provinz.bz.it
urn:nbn:de:0009-11-10463