Susanne Elsen, Fachhochschule München
Community work and development - Now, that market economy is no longer faced with territorial boundaries, the spheres of life within the limits of local communities are gaining new importance in terms of sustained patterns of development.
This extended meaning of local community as a place for mastering the challenges of life and as a framework for developing future-oriented solutions to social, ecological and economic problems, corresponds to the extended meaning of community-based social work as an effort to shape social life and generate social change.
Community-economy follows the original sense of human economy, defined by Aristotle. It is the idea of the “oikos”, an economy for the satisfaction of needs of the “whole house” - of the young and the old, the healthy and sick, of the living and future generations and the not-human world. In this sense “oikonomia” means household management.
Theorie und Praxis der Gemeinwesenentwicklung (Community Development) beziehen im internationalen Verständnis lokales und bedarfsorientiertes Wirtschaften als Kernbereich eigenständiger Existenz und nachhaltiger Entwicklung des Gemeinwesens ein. Die tradierte Arbeitsteilung der „sozialen Marktwirtschaft“ verwies die Gemeinwesenarbeit als Arbeitsfeld der Sozialen Arbeit im deutschsprachigen Raum auf Markt flankierende und stabilisierende Funktionen, auf den außerökonomischen Bereich also. Im Verständnis der fachtheoretischen Wurzeln des Community Development als Ansatz der Sozialpolitik und strukturellen Sozialen Arbeit wurde Wirtschaften als zentraler Lebensbereich hingegen nicht ausgeblendet.
Wenn in neueren sozialpolitischen Programmen im deutschsprachigen Raum die Rede von der Förderung der „Lokalen Ökonomie“ durch gemeinwesenorientierte Ansätze ist, so bedeutet dies noch nicht, dass dabei die tradierte Trennung von Markt und Sozialem aufgehoben wurde. Das Verhältnis von Gemeinwesenarbeit zum Wirtschaftssystem reduziert sich weit überwiegend auf flankierende und ergänzende Beschäftigungspolitik oder die Sicherung von Employability und „weicher Standortfaktoren“. AkteurInnen der Gemeinwesenarbeit interpretieren überwiegend den Auftrag der Stärkung „Lokaler Ökonomie“ nicht aus der Logik des Gemeinwesens und den Erfordernissen nachhaltiger Entwicklung.
Angesichts der neuen Formen der Plünderung der Gemeinwesen durch die Privatisierung und Enteignung der Daseinsvorsorge, die Angriffe auf soziale, ökologische und wirtschaftliche Menschenrechte und die Zerstörungen der natürlichen Lebensgrundlagen, sind lebensdienliche [1] Gegenentwürfe aus sozialpolitischer Perspektive erforderlich.
Die aktuellen Fachdiskurse um die Verbindungen zwischen Sozialer Arbeit und Ökonomie beschränken sich meist auf die Anforderungen an eine marktorientierte Gestaltung Sozialer Dienste und die Frage der Anwendung betriebswirtschaftlicher Instrumente und Maßstäbe im Sozial- und Gesundheitswesen. Die umfassende ökonomische Perspektive aber, die Perspektive auf die Schöpfung und Verteilung von Werten in den Gesellschaften und die Verortung von Sozialpolitik und Sozialer Arbeit in diesem Kontext, wird ausblendet. Es ist von zentraler Bedeutung, dass sich Soziale Arbeit mit den fehlerhaften Prämissen, Mythen, Menschen- und Gesellschaftsbildern der dominanten, sozial ungebundenen Ökonomie [2] sowie mit den verschiedenen Positionen sozial eingebundenen Wirtschaftens in Theorie und Praxis auseinandersetzt und ihre eigene Position sowie die Rechte ihrer Anspruchsberechtigten in einer eigenständigen Ökonomie des Sozialen vertritt.
Nie waren soziale Risiken umfassender und die Gefährdung von Menschen, Gemeinwesen und fundamentalen Grundlagen des Lebens durch ein lebensfeindliches Wirtschaftssystem so weit reichend. Sozialpolitische Fragen sind heute hoch komplex. Sie implizieren die Fragen nachhaltiger Entwicklung und sozialer Gestaltung der Weltgesellschaft.
Erforderlich ist die Neubestimmung des Verhältnisses von Sozialer Arbeit und Ökonomie wenn sich das dominante Wirtschaftssystem immer stärker gegen die Gesellschaften und ihre schwächeren Mitglieder wendet. Soziale Arbeit in und am Gemeinwesen muss unter diesen Bedingungen über die soziale Flankierung des Marktes hinausgehen und eigenständige sozialökonomische Komplementär- und Alternativstrukturen in der zivilen Gesellschaft verteidigen und schaffen.
Viel stärker als bisher ist unter den Folgen der Globalisierung neoliberaler Prägung und der Änderung der Erwerbsarbeitsstrukturen im Kontext sozialpolitischer Überlegungen die Idee des Gemeinwesens als Ort aktiver Teilhabe und Integration, kollektiver Selbstorganisation und nachhaltiger Entwicklung zu betrachten, ohne die sozialbürgerschaftlichen Ansprüche Einzelner aufzugeben. Nicht nur Existenzsicherung im Sinne der Sicherung der Existenzgrundlagen von Menschen, die im Zuge des technologischen und ökonomischen Wandels „überflüssig“ werden, sondern Wirtschaften als soziales Handeln unter Berücksichtigung der Erhaltung der ökologischen und sozialen Existenzgrundlagen (vgl. u.a. Duchrow und Hinkeklammert 2002; Ulrich und Maak 2000; Mander und Goldsmith 2002) wird zum Thema der Gestaltung des Gemeinwesens (Elsen, Lange und Wallimann 2000). Optionen eigenständiger Entwicklung gilt es auch mit Hilfe sozialpolitischer Instrumente schaffen (Lutz 2005, S.8).
Die sozialökonomische Entwicklung des Gemeinwesens wirft also die Frage nach einer Logik des sozial eingebundenen Wirtschaftens auf das der Erhaltung der sozialen, kulturellen, ökologischen und ökonomischen Evolutionsfähigkeit dient. Aus dieser Perspektive ist Wirtschaften von den Bedürfnissen der Menschen und Gemeinwesen aus zu denken. Es geht um Lebensqualität, um die gerechte Verteilung der erarbeiteten Werte, um selbst bestimmtes Leben und den Umgang mit der Natur (Wendt 2000, S.67). Jedes Projekt mit einem solchen Anspruch, steht im Widerspruch zu übermächtigen Kapitalinteressen, die nicht nur Wirtschaft und Gesellschaft, sondern auch die Denkstrukturen von Menschen beherrschen.
Dabei zeigt sich, dass der Begriff „Gemeinwesen“ Ziele, Koordinationsprinzipien und Grenzen dieser sozialen Ökonomie impliziert. Der Entwurf einer am Gemeinwesen orientierten Ökonomie geht von diesen grundlegenden Implikationen des Begriffs aus:
Der untrennbaren Einheit der Nutzung, Herstellung und Verteilung der materiellen Lebensgrundlagen
Der Gestaltung der sozialkulturellen Lebenszusammenhänge in Formen der vertikalen Vergesellschaftung auf der Basis von Assoziation und Freiwilligkeit. [3]
Idee und Anspruch aber auch die real vorfindbare Praxis der sozialen Ökonomie des Gemeinwesens ist immer ein sozialökonomischer Gegenentwurf gegenüber der Dominanz des Kapitals denn die Lebensinteressen stehen im Zentrum und der alternativlosen Orientierung am Eigennutz, die Erfordernisse des Gemeinwohls, der Fixierung am Wettbewerb, Solidarität und Kooperation.
In ihren konkret vorfindbaren Formen gehen Ansätze, die der Idee einer Ökonomie des Gemeinwesens nahe sind, von grundlegenden humanen, sozialen und ökologischen Bedürfnissen. Wirtschaften ist aus dieser Perspektive vornehmlich aus seiner reproduktiven Funktion für Menschen und Gemeinwesen zu betrachten (Wendt 2000, S.67). Es geht um die Erhaltung und zukunftsfähige Organisation dessen, was Menschen zum Leben und Zusammenleben im Gemeinwesen brauchen. Dazu gehören ein Dach über dem Kopf, Grund und Boden, existenzsichernde Arbeit, angemessene Infrastruktur, Gesundheitsdienste, sauberes Wasser etc..
Was wir als soziale Ökonomie des Gemeinwesens suchen, existiert und existierte immer im Schatten der dominanten Ökonomie und es entsteht derzeit weltweit neu. In der internationalen Diskussion geraten diese Ansätze als Alternativ- und Komplementärstrukturen der zunehmend krisenhaften neoliberalen Praxis ins Licht öffentlichen Interesses. Trotz der Unterschiedlichkeit ihrer Formen und Entstehungskontexte weisen sie deutliche Gemeinsamkeiten auf und die Versuche, sie begrifflich zu fassen, verdeutlichen, dass es sich um Alternativen zum westlichen Wachstums- und neoliberalen Profitmodell handelt.
Um die Potentiale dieser Ansätze auch für die Weiterentwicklung der Arbeit in und am Gemeinwesen zu verstehen, müssen die spezifischen Adaptionen sowohl der Gemeinwesenarbeit als auch der Sozialwirtschaft und ebenso dessen, was in der Sozialpolitik als „Lokalen Ökonomie“ [4] im deutschsprachigen Raum diskutiert wird, überschritten werden. Die Entwicklungschancen liegen im erweiterten Verständnis zivilgesellschaftlich eingebundener sozialökonomischer Selbstorganisation, die im Kontext gestaltender Sozialpolitik Optionen insbesondere für benachteiligte Menschen und Gemeinwesen, jedoch auch hin zur Nachhaltigkeit bedeuten können.
In der europäischen Diskussion wird von einer sozialen Ökonomie im „Dritten Sektor“ [5] ausgegangen. Dem Sektor ist die Vielfalt der Organisationen zuzuordnen, die jenseits des öffentlichen und privaten Bereiches agieren und nicht privater Gewinnmaximierung dienen. Dabei ist die zentrale Frage nicht die der Gewinnerzeugung, sondern die der Gewinnverwendung, die diesen Bereich von der privatkapitalistischen Wirtschaftsweise unterscheidet. Neben Vereinen, Stiftungen und Gegenseitigkeitsgesellschaften, gehören ihm auch Genossenschaften an (Elsen 2004).
Im europäisch-romanischen Raum wird – in Abgrenzung gegenüber der Versicherungswirtschaft und den traditionellen Wohlfahrtsverbänden – bei Kooperativen und ökonomischer Selbstorganisation auch von „Économie Solidaire“ gesprochen. [6] Der Begriff der „Solidarökonomie“ setzt sich derzeit in der weltweiten Diskussion durch und ist insbesondere beeinflusst von den Entwicklungen und Diskursen der „économia popular y solidaria“ in Lateinamerka.
Der Handlungsbereich der Solidarökonomie überschreitet die Grenzen von Staat und Markt und wurzelt in der Zivilgesellschaft. Er erzeugt gerade dadurch neue Möglichkeitsstrukturen und bedarfsgerechte Lösungen. Die Potentiale liegen in der erweiterten Handlungslogik des Agierens im intermediären Raum sowie in der Wirkung des Engagements bürgerschaftlicher AkteurInnen für eigene und gemeinsame Belange.
Der Begriff „Solidarökonomie“ betont die Bedeutung des Steuerungsmediums Solidarität [7] , welches in ökonomischen Transaktionsprozessen extrafunktionale Engagementbereitschaft der beteiligten Akteure freisetzt und ganzheitliche Perspektiven generiert (Elsen 1998, S. 95-122). Solidarökonomie steht gegen die Dominanz der Gewinn- und Konkurrenzprinzipen als alleinige Steuerungsmodi ökonomischen Agierens. Sie steuert sich durch Solidarität und generiert Sozialkapital durch Kooperation und solidarische Bewirtschaftung von Ressourcen.
Es handelt sich also nicht nur um einen sozialen Sektor, der die Mängel und Fehler von Markt und Staat korrigiert, sondern um eine eigenständige Logik wirtschaftlichen Handelns mit sozialen Zielsetzungen, wie sie insbesondere in genossenschaftlichen Lösungen vorfindbar ist. Er ist geprägt von den Handlungsprinzipien Freiwilligkeit, Solidarität, Kooperation, demokratische Organisation, Assoziation, Selbstorganisation und Gemeinwohlorientierung. (Monetäres) Kapital hat dienende Funktion. Solidarökonomien sind ohne die dauerhafte Wirkung und den Zufluss von Sozialkapital, der Ressource Solidarität nicht überlebensfähig, da sie in ihrer Eigenlogik und meist unter den Restriktionen monetärer Kapitalschwäche gegenüber den mächtigen Einflüssen des Marktes bestehen müssen (Birkhölzer, Klein, Priller und Zimmer 2005, S.10).
Die auf die Mitglieder von Gemeinschaften bezogene Solidarität schließt jedoch auch aus und dies zeigt die Grenzen des Ansatzes. Die Erkenntnis globaler Abhängigkeitsverhältnisse und das gemeinsame Interesse an der Erhaltung der Lebensgrundlagen könnten die Tendenzen zur Partikularität und Abschließung solidarischen Handelns in lokalen Gemeinschaften auflösen (Elsen 1998, S.100). Der Vorstellung von einer Ökonomie des Gemeinwesens liegt deshalb ein Verständnis von Solidarität zugrunde, welches über räumliche und zeitliche Bindung hinausweist und universelle Gültigkeit für die Weltgesellschaft beanspruchen kann. Es resultiert nicht nur aus Not oder Mitgefühl, sondern aus der Einsicht in lebensbedrohende und ungerechte Zusammenhänge sowie der Erkenntnis, dass es in der globalisierten Welt „die anderen“ nicht gibt, da diese Weltgesellschaft in einer ökologischen und sozialen „Schicksalsgemeinschaft“ lebt. Eine globalisierte Solidarität erwächst also aus dem Wissen um soziales und ökologisches Teilsein und ihre Aktionskraft resultiert aus organisierter Gegenwehr gegen die Zerstörung der Lebensgrundlagen. Dies ist das Band, welches die Bewegung der Landlosen in Brasilien, die Bewegung der Frauen für die erhaltende Nutzung von Boden und die Biodiversität in Indien, die Gewerkschaft der arbeitenden Kinder in Lateinamerika und Südafrika, die Bewegungen gegen die Privatisierung der Daseinsvorsorge in Europa oder die Kampagnen kritischer KonsumentInnen in allen Weltregionen verbindet. [8] Assoziation und sozialökonomische Selbstorganisation sind also auch Formen der reflexiven Aneignung demokratischer Rechte in Wirtschaft und Gesellschaft oder deren Verteidigung – nicht selten in konflikthaften Prozessen, die mit Empowermenterfahrungen (Elsen 2003, S.57f.) verbunden sind und das demokratische Bewusstsein stärken.
Die normativen Prämissen der Ökonomie des Gemeinwesens sind zugleich strategische Handlungsweisen. Folgende Kriterien verbinden die solidarökonomischen Bewegungen im internationalen Raum:
demokratische Unternehmenskultur (nominales Stimmrecht: one person, one vote)
inklusives Eigentum (Nutzungseigentum)
Bedarfswirtschaftliches Handeln (nicht primär profitorientiert)
Gewinnverwendung (Zweckbindung des Gewinns)
soziale Einbindung.
Es sind die mehr als einhundertfünfzig-jährigen Organisationsprinzipien der internationalen Genossenschaftsbewegung, die die Basis bilden.
Kooperative Arbeit war und ist Mittel insbesondere mangels Kapital. Das Verständnis von Arbeit, welches dem Konzept der Ökonomie des Gemeinwesens zugrunde liegt, basiert auf einem erweiterten Blick auf gesellschaftlich sinnvolle Tätigkeit, die Nachbarschaftshilfe, Familienarbeit, Eigenarbeit, Tausch, Subsistenzwirtschaft, Kooperativarbeit, Erwerbsarbeit und Formen bürgerschaftlichen Engagements einbezieht.
Die Arbeit am äußeren Gemeinwesen, die Erschließung gesellschaftlich sinnvoller Tätigkeitsfelder ist dann als Gemeinwesenökonomie zu betrachten, wenn sie Möglichkeiten der Entfaltung des inneren Gemeinwesens beinhaltet.
Der zentrale Begriff „Gemeinwesen“ leitet sich von der Vorstellung der Gemeinschaft von Gleichen auf Gegenseitigkeit ab. Er impliziert also auch Reziprozitätsnormen. Dies sind Gegenseitigkeits- und Gerechtigkeitsvorstellungen, welche Tauschakte zwischen Menschen auf der Basis von Gleichheit bestimmen. Redistribution zielt dabei auf die Korrektur ungleicher Verteilung von Gütern und Zugangschancen und damit auf die Begrenzung sozialer Ungleichheit weil erst durch eine gerechte Verteilung von Gütern Reziprozität und Äquivalenz in Tausch- und Vertragsbeziehungen möglich ist. Gemeinwesenökonomie ist deshalb im Kontext gestaltender Sozialpolitik zu betrachten, die benachteiligten Gruppierungen die Wahrnehmung umfassender Rechte in der BürgerInnengesellschaft garantiert.
Das „gemeine Eigene“ und der „gemeine Nutzen“ bilden die essentiellen Grundlagen des Gemeinwesens. Der gemeine Nutzen gewährt Zugang zu den zentralen Arbeits- und Lebensvoraussetzungen. Er hat einen konkreten operativen Gebrauchswert, ist jedoch auch normativer Wert. Er setzt differenzierte Eigentumsbegriffe voraus. Die soziale Ökonomie des Gemeinwesens basiert auf genossenschaftlichen und eigenwirtschaftlichen Eigentumsformen und erzeugt in solidarökonomischen Formen selbst zukunftsfähiges und emanzipatorisches gesellschaftliches Eigentum.
Es handelt sich bei der Idee einer am Gemeinwesen orientierten Ökonomie nicht um eine einheitliche wirtschaftswissenschaftliche Position. „Gemeinwesenökonomie“ in ihrer konkreten Ausprägung ist ein normatives und zugleich in vielfältigen Variationen historisch [9] und aktuell weltweit vorfindbares reales Phänomen. Ihre Geschichte als Gegenentwurf zur kapitalistischen Wirtschaftsweise lässt sich über fast zweihundert Jahre nachzeichnen, denn immer gab es Menschen, die der dominanten Ökonomie solche Entwürfe oder reale Utopien entgegensetzten und die ein Mehr an sozialer Gerechtigkeit und Verantwortung für das Gemeinwesen forderten (Elsen 2003, S.57f.).
Beispiele finden sich auch heute weltweit da, wo Menschen sich gesellschaftlich sinnvolle und notwendige Arbeit im Gemeinwesen aneignen, wo sie Formen entwickeln, sich durch Subsistenzwirtschaft und Tausch den Kapitalzwängen teilweise zu entziehen, wo sie der Kommerzialisierung und Enteignung ihrer Lebensgrundlagen kooperative Alternativen entgegensetzen und wo sie solidarökonomische Varianten miteinander oder für und mit Menschen konstruieren, die der Solidarität bedürfen. Es sind kollektive, kooperativ und vernetzt agierende Komplementärformen und Gegenentwürfe, die die Idee des Ganzen enthalten und sie sind, wie die historischen Vorläufer Robert Owens oder der Rochdaler Pioniere [10], Ansätze einer am Gemeinwesen orientierten Ökonomie.
Wenn ich von „Gemeinwesenökonomie“ als Option zur Gestaltung zukunftsfähiger Sozialpolitik spreche, dann verstehe ich darunter Ansätze der sozialökonomischen Selbstorganisation in zivilgesellschaftlichen Kontexten, sowie solidarischer und parteilicher Formen zur Unterstützung solcher sozialökonomischer Ansätze, die der Existenzsicherung, der sozialen Integration und Emanzipation Benachteiligter oder der Erhaltung von Lebensgrundlagen des Gemeinwesens dienen. Sie beruhen auf Assoziation, Freiwilligkeit und (unterstützter) Selbstorganisation und sind nicht dominiert von beschäftigungspolitischen Verwertungsinteressen und/oder paternalistischer Sozialer Arbeit. Sie müssen eine Ausweitung der Handlungsoptionen der benachteiligten AkteurInnen ermöglichen und den Belangen des Gemeinwesens nicht schaden.
Gerade in der genossenschaftlichen Arbeitsorganisation und in der Organisation und Kontrolle der Daseinsvorsorge liegen die Potentiale zur Lösung struktureller und sozialer Probleme mit ökonomischen Mitteln (Elsen 2003, S.57-78).
Gemeinwesenökonomie entstand und entsteht auch heute weltweit einerseits mangels anderer Möglichkeiten der Existenzsicherung und sozialökonomischen Teilhabe und /oder als expliziter und reflexiver Gegenentwurf zu den Übergriffen der globalisierten Marktwirtschaft. In armen und unterentwickelt gehaltenen Regionen der Welt sind traditionelle Formen, die der Logik einer Ökonomie des Gemeinwesens nahe kommen, nach wie vor die wichtigste Basis der Existenzsicherung. Als Reaktionen auf die Übergriffe der transnationalen Konzerne entstehen auch dort derzeit neue reflexive Alternativen. In den Transformations- und Entwicklungsländern zeigt sich eine wachsende überfamiliäre politische und ökonomische Organisationsfähigkeit der Armen und Ausgegrenzten. Der Reflexionskontext der globalisierungskritischen Gruppen und die schärfer werdenden Übergriffe und Enteignungen lassen gemeinsame Betroffenheitslagen deutlicher werden und stärken die Kohäsionskraft defensiver und pro-aktiver Bewegungen.
Sichtbar wird die wachsende Bedeutung der Solidarökonomie als Alternativ- und Komplementärstruktur in den aktuellen Entwicklungen in Lateinamerika und den dort geführten Diskursen um die Bedeutung solidarischen Wirtschaftens für eine andere Moderne. Was weltweit wieder entsteht – oder immer bestand und derzeit stärker ins Bewusstsein gerät – ist einzureihen in die Tradition der „Volks-Wirtschaft“ im Sinne der economia popular, die über Jahrhunderte komplementär und alternativ unter der dominanten Wirtschaftsform praktiziert wurde.
Wie vor 100 Jahren greifen aber auch in den Industriestaaten, in denen die ökonomische Selbstorganisation aus dem kollektiven Gedächtnis verbannt wurde, wieder verstärkt Menschen auf diese Ansätze der Sicherung zentraler Lebensvoraussetzungen zurück. Zur Selbsthilfe wird in den Wohlfahrtsstaaten erst dann gegriffen, wenn bei einer lang anhaltenden Krise alle anderen Möglichkeiten ausgeschöpft sind. Sie bezieht sich aktuell auf die Bereiche Arbeit, Erhaltung von Einrichtungen der Daseinsvorsorge und die lokale Kontrolle über Geld.
Gründungen von Kooperativunternehmen lassen sich in den Industrieländern derzeit in folgenden Bereichen feststellen:
Unternehmen der alternativen Arbeitsorganisation gewerblicher Wirtschaft (Belegschaftsbetriebe), die das Ziel haben, Erwerbsarbeit vor Ort durch kooperative Betriebsübernahmen zu sichern. Nach dem wirtschaftlichen Zusammenbruch in Argentinien übernahmen Belegschaften viele hundert Betriebe. In Europa sind es mittelständische Betriebe, die als Belegschaftsunternehmen weitergeführt werden.
Kooperative Unternehmen im Bereich alternativer lokaler Arbeitsmarktpolitik mit Frauen und Männern, die am Arbeitsmarkt benachteiligt sind. (Existenzsicherungsgenossenschaften). [11]
Produktivgenossenschaften überwiegend hochqualifizierter Kräfte beispielsweise im Ingenieurwesen und im IT-Bereich, die im Markt und im öffentlichen Sektor keine sicheren Arbeitsplätze mehr finden und ihre Chancen im Markt gemeinsam verbessern oder auch Produktivgenossenschaften im medizinischen Bereich. (Geistkapitalunternehmen).
Sozial-, Bildungs-, Kultur und Gesundheitsgenossenschaften, die dem Abbau und den Qualitätseinbußen durch Privatisierung in diesem Bereich entgegen wirken sollen. Die Gründungen erfolgen sowohl durch Anbietende und NutzerInnen und mitunter als alternative sozialpolitische Lösungen durch öffentliche Förderung. Diese sind auch aus der Perspektive der Emanzipation der TrägerInnen/NutzerInnen zu betrachten, die sich damit von einer Entmündigung durch „Experten“ verabschieden. Beeindruckend ist die Entwicklung der Genossenschaften mit sozialer Zielsetzung in Italien.
Bemühungen um die lokale Kontrolle von Geld in Form von Komplementärwährungen, lokalen Bankkooperativen und Investitionsfonds. [12]
Verbraucher- Konsumenten- Kooperativen entstehen an den Nahtstellen von Städten und Regionen insbesondere als Folge der Skandale der industriellen Lebensmittelproduktion. Ein überzeugendes Beispiel ist „Tagwerk“ im Norden der Münchener Region.
Kooperativen und Fonds, die die öffentliche Infrastruktur und Daseinvorsorge (Wohnung, Energie, Wasser) durch die lokale Bevölkerung gegen Kommerzialisierung sichern. Dieser ebenso wie der Bereich des Bildungs-, Sozial- und Gesundheitswesens, legen die Übernahme durch Multi-Stakeholder-Konstrukte nahe (Fritz und Scherrer 2002). Gerade zur Privatisierung Daseinsvorsorge sind Formen „vergesellschafteter Privatisierung“ eine lebensdienliche Alternative. Die Gründung lokaler Genossenschaften und Bürgerfonds insbesondere im Sozial- und Gesundheits- Schul- und Pflegebereich in Finnland, Spanien, Kanada, Italien und Japan, ist eine Antwort der lokalen Bevölkerung auf die Privatisierung, Kommerzialisierung und Enteignung von öffentlichen Einrichtungen und Leistungen (Göler von Ravensburg 2003).
Ein weiterer Trend ist die Konstruktion von alternativen Geldsystemen, die lokale Wertschöpfung und soziale Integration fördern. Bemerkenswert sind Umfang, Reichweite, Vielfalt und Qualität von Ansätzen insbesondere in Japan. Als ehemaliges Mitglied der Triade der Globalisierungsgewinner ist es früher als Europa in die Finanzkrise und insbesondere die Vertrauenskrise der Bevölkerung geraten. Innerhalb zivilgesellschaftlicher Kontexte und aus berufsständischer Organisation heraus hat sich ein reiches Spektrum aus lokalen Komplementärwährungen, Tauschsystemen und genossenschaftlichen Unternehmen gebildet (Lietaer 2002, S. 324 f.). Sie beruhen auf überfamiliären Gemeinschaften sowie auf dem Misstrauen gegenüber Markt, Staat und dem Wert des Geldes. Dem werden durch die Bündelung von Ressourcen und Kompetenzen und durch geldlosen Tausch nachhaltige Alternativen in zivilgesellschaftlicher Verantwortung entgegen gesetzt. Die Süddeutsche Zeitung beschreibt dieses japanische Phänomen als „Kapitalflucht der sozialen Art“ (SZ 2003). Insbesondere im Bereich von Gesundheitsversorgung und Pflege wurden in Japan genossenschaftliche Lösungen in den Gemeinwesen entwickelt, in denen Hilfen auf Gegenseitigkeit, Selbsthilfe, geldloser Tausch und professionelle Hilfe kombiniert werden (Göler von Ravensburg 2003, S. 82).
Auch Bewegungen zur Aneignung und selbstbestimmten Nutzung von Boden zur Wiedergewinnung von Subsistenzmöglichkeiten in Städten sind in Japan besonders verbreitet. In radikaler Form handelt es sich um Gruppierungen, die sich als „Garten-Guerilla“ bezeichnet. Der Trend aber zum Urban Gardening oder Community Gardening aus sozialen, kulturellen, therapeutischen, lokalökonomischen oder ökologischen Gründen ist derzeit in nahezu allen Weltregionen beobachtbar, auch im europäischen und deutschsprachigen Raum.
Alle ökonomischen Alternativ- und Komplementärformen haben soziale und sozialpolitische Bedeutung und verweisen auf einen tiefen Bruch mit der selbstreferenziellen neoliberalen Ideologie und Praxis. Sie bewegen sich im Bereich von sechs Bastionen, auf die diese Ökonomie Anspruch erhebt:
die generelle marktförmige Organisationsweise ökonomischer Belange,
die Verwertungsbedingungen von Arbeitskraft,
die Entscheidungsmacht über ökonomische Teilhabe oder Ausgrenzung,
die marktförmige Verwertung und Bewirtschaftung öffentlicher, intellektueller und biologischer Güter,
die Bestimmung des Preises aller dieser Güter
die Definition der Logik des Geldes
die Gestaltung des Sozialen als ökonomieexternes System zugunsten der ökonomischen Verwertungsbedingungen.
Der weltweite Aufbruch assoziativer und netzwerkartiger Strukturen im sozialökonomischen Bereich lässt verschiedene Deutungen zu: Es handelt sich nicht zuletzt um die Übertragung partizipativer Demokratie auch auf den ökonomischen, nicht nur den politischen Sektor, und um Konsequenzen verantwortlicher Bürgerinnen und Bürger aus ihrer Erkenntnis, dass die Abhängigkeiten und Schwächen des politischen und die Übergriffe und Verantwortungslosigkeiten des wirtschaftlichen Systems, Grenzsetzungen und nachhaltige Alternativen erfordern.
Neben den aus reiner Not und mangels Alternative entstehenden „Volks-Ökonomien“ gilt es also die Varianten zu beachten, die reflexiv als Alternativen zu den Verwerfungen oder als verantwortlicher Schritt in Richtung nachhaltige Gesellschaft entwickelt werden. Es sind andere als rein besitzorientierte Motive, die die Akteurinnen und Akteure jener Wirtschaftsform prägen, deren Herausbildung die Modernisierungstheoretiker van der Hans Loo und Willem van Reijen als Gegenentwürfe zur Marktwirtschaft in der nachindustriellen Gesellschaft und als Experimentallabore einer neuen, von Laien in Verbindung mit sozialen Bewegungen organisierten lokalen Ökonomie beschreiben (Vgl. van der Loo und van Reijen 1992, S. 245.). Diese „LaienunternehmerInnen“ sind Teil der auch von Jürgen Habermas beschriebenen „antiproduktivistischen Allianz“, der „Dissidenz von Wachstumskritikern“, die die vitalen Grundlagen der Lebenswelten gegen die Eigendynamiken der durch administrative Macht und Geld gesteuerten Subsysteme mittels basisnaher und selbstorganisierter Formen stärken wollen (Vgl. Habermas 1985, S. 156). Sie verfügen über das kritische Bewusstsein, welches sie auch zu Verbündeten einer sozialökonomischen Innovation mit und zugunsten sozial Benachteiligter macht.
Anschlussfähig an dieses „Neue“ ist „das Alte“, die vormodernen Varianten einer pluralen Ökonomie, die in peripheren Weltregionen vor der vollkommenen Durchdringung durch die Marktwirtschaft oder in den Ökonomien der Armut in indigenen Gemeinschaften oder auch in den Armutsökonomien der Wohlfahrtsstaaten überlebt haben. [13] Die Residuen vormodernen Wirtschaftens treten durch die globale Vernetzung der sozialen Bewegungen seit wenigen Jahren gegen die neoliberale Enteignung aus ihrem Schattendasein und erfahren sich als Gegenentwürfe. Die AkteurInnen beider Entstehungskontexte, der vormodernen wie der neuen, erwarten keine Lösung aus den „Kathedralen der Macht in Wirtschaft, Wissenschaft und Staat.“ (Beck 1993, S. 158.) Sie haben diese vielmehr als Teil der Problemursachen erkannt.
Das Wissen um kooperative ökonomische Selbstorganisation, welches in anderen Weltregionen – in Transformations- und Industrieländern, aber auch in Entwicklungsländern - generiert wurde ist als Lernkontexte mit dem Ziel der Herausbildung einer gestaltenden Sozialpolitik, die die Zivilgesellschaft fördert von großer Bedeutung, denn „Fortschritte“ werden „Rückschritte“ in Formen gesellschaftlich integrierten Wirtschaftens sein.
Oskar Negt weist die Richtung, in der diese Ökonomie des Gemeinwesens zu suchen ist: „Die Alternativen zum bestehenden System (sind) nicht in dem abstrakt-radikal Anderen zu suchen und zu finden (...), sondern auf der Unterseite der bestehenden Verhältnisse, in ihren konkreten Prägungen und ihren einzelnen Krisenherden.“ (Negt 2001, S. 405)
In der Mischlogik des „Dritten Sektor“ oder des „intermediären Bereiches“ [14] ist das sozialökonomische Innovationspotential zu verorten. Die Entgrenzungen und Uneindeutigkeiten, zum Beispiel wirtschaftliches Handeln mit sozialer Zielsetzung, resultieren aus dem lebensweltlichen Kontext und den Koordinationsformen, die Entgrenzungen und Entdifferenzierungen innerhalb und zwischen funktional differenzierten Bereichen und jenseits von ihnen erzeugen. Lebensweltliche Fragen und Nöte, die Koordination von Handeln durch die Steuerungsressourcen Kommunikation, Kooperation und Sozialkapital, sprengen die Eindeutigkeiten der Systemlogiken.
Diese Extrafunktionalität des freien Engagements gewinnt selbst eine innovative Funktion. Sie steht für eine Offenheit jenseits funktionalistischer Organisationssysteme, mischt die Rationalitäten der Systemlogiken auf und erzeugt neue Kombinationen und lebensnahere Möglichkeiten. Die entstehenden Parallel- und Komplementärökonomien sind hybride Organisationen, die transversal zu gesellschaftlichen Systemen sowohl soziale und ökologische, als auch ökonomische Ziele verfolgen, im ökonomischen Bereich agieren, aber Teil der organisierten Zivilgesellschaft sind.
Eingespielte Abgrenzungen von privat/öffentlich, politisch/sozial, kulturell/ökonomisch werden durch lebensweltliche Formen der Begrenzung, Aneignung und Einmischung herausgefordert. Die Prozesse der Einmischung sozialer Bewegungen in Formen der Assoziation und sozialökonomischen Selbstorganisation sind Grenzüberschreitungen aus der Lebenswelt in den politischen und ökonomischen Sektor. Sie bewirken auch eine Entmonopolisierung von Sektoren und Sachverstand und das Eindringen neuer AkteurInnen und lebensweltlicher Logiken in die Systeme Staat und Markt.
Genossenschaftsgründungen als sozialökonomische Unternehmen, die aus lebensweltlichen Zusammenhängen resultieren, spiegeln solche sozialökonomische Transformationsprozesse in Industrie-, Transformations- und Entwicklungsländern. Sie verdeutlichen auch die Möglichkeiten, die aus dem prozesshaften Agieren an den Nahtstellen von Markt, Staat und Zivilgesellschaft resultieren. Die Durchlässigkeit der Nahtstellen und die Resilienz der Mischlogiken des intermediären Bereiches sind für die Entwicklung und Stabilisierung sozialökonomischer Ansätze von zentraler Bedeutung.
Genossenschaftliche Ökonomien sind die klassischen Alternativen zur Systemrationalität kapitalistischer Verwertung und Enteignung. Ihre neuen Entwicklungen sind nicht zu verstehen als Rückfall vor die Moderne, sondern vielmehr als Vorgriff auf Wege in eine andere Moderne (Vgl. Pankoke 2000, S. 189f.). Ihr konkret ökonomisches Potential liegt in der Möglichkeit Bündelung von Kräften, der tendenziellen Ausschaltung des Marktes durch die Mitgliederwirtschaft und das Identitätsprinzip. Das gesellschaftspolitische Potential einer alten Form des sozialen und lokalen Wirtschaftens verdeutlichen aktuelle Beispiele aus Industrie-, Entwicklungs- und Transformationsländern:
Die Vergenossenschaftlichung sozialer und gesundheitlicher Dienste ist in Transformations- und Entwicklungsländern Substitut für familiäre Leistungen, die in Folge von Traditionsverlusten und veränderten Wohn-, Arbeits- und Lebensformen nicht mehr selbstverständlich sind. Insbesondere Frauen suchen neue kollektive Formen zur Organisation des traditionell familienbezogenen Careworks.
Die Vergenossenschaftlichungen öffentlicher Dienste in den Bereichen Bildung, Gesundheit und Soziales substituieren in Industrieländern öffentliche Anbieter. Es handelt sich bei den Sozial-, Gesundheits- und Bildungsgenossenschaften zwar um Re-Privatisierung öffentlicher Leistungen, da sich der Staat aus der Verantwortung für die Daseinsvorsorge zurückzieht, doch birgt diese Variante die Möglichkeit, eine rein kommerzielle Privatisierung durch bürgerschaftlich kontrollierte Organisationsmodelle zu verhindern und den Zugang für alle zu sichern. Das Modell ist jedoch zu denken als sozialpolitisches Instrument, welches die Partikularität kommunitärer Lösungen ausgleicht und den Zugang für alle BürgerInnen zum Ziel hat.
Vergenossenschaftlichungen im ökonomischen Sektor haben unterschiedliche Funktionen: In Entwicklungs- und Transformationsländern können sie den Schritt vom informellen Sektor in den Markt bahnen. In Industrieländern ermöglichen sie, insbesondere arbeitsintensive Bereiche für lokale Märkte zu erschließen oder lokales Wirtschaften synergetisch zu organisieren. Sie sind zudem unter bestimmten Voraussetzungen in der Lage, herkömmliche Unternehmen durch genossenschaftliche Umwandlung zu stabilisieren und zu erhalten.
Die Auseinandersetzung mit diesen Potentialen erfordert den Abbau von Vorurteilen auch von Seiten der kritischen Linken und eine ernsthafte Auseinandersetzung mit Bedingungen des Scheiterns und des Erfolges kollektiver Ökonomien. Es lässt sich für die vergangenen 150 Jahre nachweisen, dass unkonventionelle, sozialökonomische Projekte der Selbstbestimmung und Selbstverwaltung nicht nur durch die Lobby der kapitalistischen Wirtschaftsweise, sondern auch von der Arbeiterbewegung sozialdemokratischer und orthodox marxistischer Prägung ausgegrenzt, aufgezehrt oder assimiliert wurden.
Soziale Bewegungen für die Rechte der Arbeitenden, Benachteiligten und Besitzlosen bildeten im 19. und frühen 20 Jahrhundert das sozialpolitische Konfliktfeld in den westlichen Industrieländern. Die Konfliktpotentiale, die gesellschaftliche Innovationen und Alternativen generieren könnten, sind auch aktuell in den Kräften der soziale Bewegungen zu finden, die weltweit begrenzend und gestaltend jenseits staatlicher Politik und kapitalistischer Ökonomie agieren und in die etablierten politischen und wirtschaftlichen Systeme hineinwirken. Ihre lokale Verankerung und gleichzeitig internationale Wirksamkeit hat eine neue Qualität. Wie die sozialen Bewegungen des 19. und frühen 20. Jahrhunderts haben sie eine antikapitalistische und kollektive Ausrichtung (Böhnisch und Schröer 2002, S. 14f.) und sind als neue sozialpolitisch gestaltende und begrenzende Kräfte zu erkennen. Aus dem Kontext neuer sozialer Bewegungen ist eine Vielzahl international agierender Organisationen entstanden, die transnational protestfähig sind, während gerade ihre lokale Orientierung ein hohes Mobilisierungspotential birgt und eine Quelle der Kritik an der derzeitigen wirtschaftlichen und politischen Praxis darstellt (Vgl. Roth 2001, S.1669f.).
Nicanor Perlas, Präsident des Philippinischen Zentrums für Alternative Entwicklungsinitiativen (CADI) und Träger des alternativen Nobelpreises, setzt große Hoffnungen in diese Kraft der Zivilgesellschaft, die sich seit dem letzten Drittel des 20. Jahrhunderts lokal und global vernetzt Gehör verschafft habe und den unmittelbar erfahrenen Formen von Missbrauch, Ausbeutung und Zerstörung der Erde und der Menschheit entgegentrete. „In ihrer heutigen Form ist diese Zivilgesellschaft die wichtigste soziale Neuerung des 20. Jahrhunderts. Sie kommt an Bedeutung der Errichtung der Nationalstaaten zu Beginn des 17. Jahrhunderts oder dem Aufkommen moderner Marktwirtschaften im 18. Jahrhundert gleich.“ (Perlas 2000, S. 19.) Perlas definiert Zivilgesellschaft als eine der Dimensionen der umfassenden sozio-kulturellen Lebenswelt, die spezifische Rollen, Normen, Praktiken, Beziehungen und Kompetenzen repräsentiere. Diese Praktiken und Normen der Zivilgesellschaft – Assoziation, Selbstorganisation und organisierte Kommunikation – seien nicht auf einzelne gesellschaftliche Sphären beschränkt und wirkten im politischen, sozialen und wirtschaftlichen Bereich. [15] Die erstarkende Zivilgesellschaft sei, so Perlas, eine ausgleichende dritte Kraft. Er spricht von einer neuen Umverteilung der Macht zwischen Staat, Markt und Zivilgesellschaft. Diese Umverteilung deutet er als Prozess hin zu einer gesellschaftlichen Dreigliederung von Politik, Kultur und Wirtschaft, welche unter dem Einfluss der Globalisierung neoliberaler Prägung einseitig und verformt sei, dem Markt die Vorherrschaft einräume und die anderen Bereiche versklave (Perlas 2000, S.130).
Was Perlas unter Dreigliederung versteht, bedeutet kein sektorales Gegeneinander, sondern eine integrierende Verbindung von Politik, Wirtschaft und Kultur durch das kritische Engagement von Bürgerinnen und Bürgern, die sich für die Belange der Gesellschaft und der Natur einsetzen. Sozial und ökologisch verantwortliches Wirtschaften sieht er als eine globale Kraft, die die soziale Dynamik der Dreigliederung verstärke. De facto sei die neue Dreigliederung durch den Aktivismus der Zivilgesellschaft weltweit wahrnehmbar, eine Reflexion und bewusste Darstellung dieses Prozesses stehe jedoch erst am Anfang. Durch eine bewusste Politik der gesellschaftlichen Dreigliederung kann sich, so Perlas, der politische Einfluss der Zivilgesellschaft entfalten. Die vermittelnde Rolle zwischen Zivilgesellschaft und Staat sei ebenso unentbehrlich wie die Verwurzelung der politischen in der Zivilgesellschaft (Perlas 2000, S.140).
Neue zivilgesellschaftliche Akteure haben auch „die sozialpolitische Arena betreten. Ihre basis- und projektorientierte Praxis, ihre organisatorische Orientierung an vernetzten Strukturen und ihre Bereitschaft zu Protest und zivilem Ungehorsam rücken sie in die Nähe dessen, was wir von den neuen sozialen Bewegungen kennen.“ (Roth 1997, S. 38)
Aus sozialen Bewegungen bildete sich historisch das konfliktive Kraftfeld, aus dem heraus sich staatliche Sozialpolitik und professionelle Sozialarbeit entwickelten.
Die neuen Formen sozialökonomischer Selbstorganisation gegen Enteignung und Privatisierung oder für die Sicherung von Existenzgrundlagen können als Kampf um die grundlegenden Bürgerrechte sozialer, politischer, kultureller und ökonomischer Teilhabe verstanden werden. Ihre Zielsetzungen reichen über spezifische Gruppeninteressen hinaus und haben eine gesellschaftspolitische Dimension. Es handelt sich um echte soziale Selbsthilfe, da sie kollektiv geschieht und einen sozialen Entstehungshintergrund hat. Sozialökonomische Selbsthilfe und Selbstorganisation unterscheidet sich radikal von der Suche nach Arbeitgebern oder der meist prekären Existenzgründung Einzelner. Sie verfolgen zudem primär soziale Ziele mit ökonomischen Mitteln und sind damit immer politisch. Entscheidend „ist die Selbsttätigkeit der Menschen, ihre kollektive Aneignung von Rechten, Fähigkeiten, Kreativität, Ressourcen und Macht.“ (Zeller 2004, S. 312) Sie bündeln ihre begrenzten Kräfte in assoziativen Formen und versuchen durch Kooperation den Zugang zu den eigenen und gemeinsamen Lebensgrundlagen nachhaltig zu sichern.
Der Kanadier Robert Campfens beschreibt die Wirkung solcher sozialökonomischer Bewegungen in seiner internationalen Studie zum Community-Development: „Another trend witnessed in recent years is the spectacular rise of social and co-operative movements, many of them serve as agents of CD. Among the most numerous of these movements (...) are the myriade of apparently spontaneous, self managing local rural and urban organizations that seek to ensure their members´ survival through co-operative production, distribution, and consumption. (...) these ‘defensive’ social movements do not explain the rise of all those social and co-operative movements, that exist to create change (...) These latter movements are often driven by the search for alternatives to the capitalist industrial models, to the state-controlled social programs, and to the centralized, hierarchical, top-down, institutionalized structures of decision-making. The alternatives these groups apply may take the form of redirecting the economy toward the community, the environment, and a sustainable future.” (Campfens 1999, S. 5)
Die Neustrukturierung des Verhältnisses der Sphäre freien Engagements kollektiver Selbstorganisation und des Sozialstaats, bilden auch nach Böhnisch und Schroer den Kern des Konzeptes gestaltender Sozialstaatlichkeit. „Dahinter steht die Überlegung, dass es einer grundsätzlichen Neubelebung der Sozialpolitik bedarf, um eine Gegenwelt und damit soziales Spannungsverhältnis zur Entwicklung des digitalen Kapitalismus aufzubauen.“ (Böhnisch und Schroer 2002, S.184) Sie beziehen sich damit nicht auf das institutionelle Leistungssystem, sondern auf den sozialstaatlichen Diskurs des Spannungsverhältnisses von Ökonomie und Sozialem, welches sich historisch als eigenständige Kraft entwickelte, die gesellschaftliche Räume des Konsenses und Konflikt eröffnete (Böhnisch und Schroer 2002, S.183).
Maßstab gestaltender Sozialpolitik wäre heute eine Weiterentwicklung in Richtung voller gesellschaftlicher Teilhabe auf der Basis der Möglichkeiten der entfalteten Produktivkräfte, die weltweit wirksame Begrenzung der Übergriffe des Marktes und die Förderung bürgerschaftlicher Selbstorganisation in allen relevanten gesellschaftlichen Bereichen.
Jürgen Habermas kommentierte die Situation des Sozialstaates vor zwanzig Jahren wie folgt: „In einer Situation, in der (…) wirtschaftliche Stagnation, steigende Arbeitslosigkeit und die Krise öffentlicher Haushalte (…) mit den Kosten des Wohlfahrtsstaates in Verbindung gebracht werden können, machen sich die strukturellen Beschränkungen fühlbar, unter denen der sozialstaatliche Kompromiss gefunden und aufrechterhalten worden ist.“ (Habermas 1985, S. 149). In einer solchen Situation gerät der Sozialstaat in die Gefahr, seine gesellschaftliche Basis zu verlieren, da die (noch) erwerbstätigen Beitragszahler sich gegen die Anspruchsberechtigten stellen und damit dem Sozialstaat die legitimatorische Basis entziehen. Wenn unter den gegebenen Bedingungen das Sozialstaatsprojekt seinen zentralen Bezugspunkt, die Arbeit verliere, könne es nicht mehr um die Einfriedung dieser Norm gehen. Das zukunftsfähige Sozialstaatsprojekt „dürfte sich nicht einmal darin erschöpfen, durch Einführung eines garantierten Mindesteinkommens den Bann zu brechen, den der Arbeitsmarkt über die Lebensgeschichte aller Arbeitsfähigen verhängt – auch über das wachsende und immer weiter ausgegrenzte Potential derer, die nur noch in Reserve stehen. Dieser Schritt wäre revolutionär, aber nicht revolutionär genug.“ (Habermas 1985, S. 157) Habermas führt aus, dass die Anwälte des sozialstaatlichen Projektes immer nur in eine Richtung geblickt haben: „Im Vordergrund stand die Aufgabe, die naturwüchsige ökonomische Macht zu disziplinieren und die zerstörerischen Auswirkungen eines krisenhaften ökonomischen Wachstums von der Lebenswelt der abhängig Arbeitenden abzuwenden.“ (Habermas 1985, S. 150) Unbeachtet seien die rechtlich-administrativen Mittel der Umsetzung der sozialstaatlichen Programme geblieben, mit denen eine Praxis der Tatbestandsvereinzelung, der Normalisierung und Kontrolle verknüpft sei, eine Praxis, die die Anspruchsberechtigten vereinzele, reglementiere, überwache und zur Passivität und Anpassung zwinge. Habermas betont, dass es keine Alternative zur Aufrechterhaltung und zum Ausbau des Sozialstaates gebe, doch dass es einer innovativen Kombination von administrativer Macht und intelligenter Selbstbeschränkung bedürfe, um die destruktiven Wirkungen des interventionistischen Staates auf die Lebenswelten einzudämmen. Dies weist in die Richtung einer gestaltenden Sozialpolitik, die zivile Selbstorganisation ermöglicht und fördert.
Solange Sozialpolitik aber „als Politik der Herstellung von Arbeitsbereitschaft organisiert wird und mit jeder gefundenen Agenda erneut ein Missbrauchsverdacht institutionalisiert wird, bedeutet eine Veränderung hin zu strukturellen Regulierungen die Reproduktion des bekannten Musters von Unterversorgung, Ausschließung, Repression.“ (Cremer-Schäfer 2004, S. 181) Ansatzpunkt sozialpolitischer Reformbemühungen sollte jedoch tatsächlich die Arbeitslosigkeit sein. Doch Arbeitslose und Arme müssen durch kollektive Selbstorganisation zu einer sozialen Bewegung werden können. Tatsächlich zielte keine der arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen in Deutschland seit den 1970er Jahren auf kooperative Selbsthilfe. Sie widerspricht zutiefst dem methodischen Individualismus der Neoklassik. Sozialstaatliche Absicherungen setzen vielmehr am freigesetzten und isolierten Individuum an. Die in der Sozial-, Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik erkennbare Ignoranz gegenüber kooperativen und gemeinschaftlichen Handlungsansätzen, z.B. genossenschaftlichen Gründungen mit beschäftigungs-orientierten und sozialen Zielsetzungen, und die Fixierung auf individualisierte Ursachenerklärungen und Interventionen hat tief liegende historische Wurzeln in der kapitalistischen Gesellschaft. Solidarische und diversifizierte Lebens- und Nutzungsformen werden systematisch abgewehrt und als Bedrohung partikularer Interessen wahrgenommen (Altner 2004, S. 19).
Individuelle Absicherung, Selbstsorge und Aneignung von Geld standen und stehen seit jeher hoch im Kurs. Gemeinschaftliche Bestrebungen indes, die eigene Lage zu verbessern, waren und sind nicht erwünscht. Der rote Faden der Verhinderung kollektiver Selbstorganisation durchwirkt Geschichte und Gegenwart. „Beschränkten sich die Bedürftigen auf wohltätige und andere systemneutrale Aktivitäten, z.B. in einer friendly society, waren sie, eine gewisse Überwachung vorausgesetzt, geduldet. Gesellschafts-bezogene Initiativen nahmen aber einen politischen Charakter an und bedrohten die bestehenden Macht- und Eigentumsverhältnisse.“ (Wendt 1995, S. 63) Die Koalitions- und Versammlungsverbote des späten 18. und des 19. Jahrhunderts in England und Deutschland zwangen solche Vereinigungen in den Untergrund, was jedoch den inneren Zusammenhalt stärkte. Im Gegensatz zur Zeit der frühen Arbeiterbewegung fehlt heute die gemeinsame Alltagserfahrung der Produktionsbedingungen, die historisch zur Bildung von defensiven Bewegungen und kooperativer ökonomischer Selbsthilfe führten. Dies ist eine besondere Problematik für die wachsende Zahl der Opfer des ökonomischen Systems insbesondere in den westlichen Industriestaaten, deren soziale Problemlage individualisierend thematisiert und professionell bearbeitet wird. Scham und Rückzug, nicht aber Fähigkeiten zur Selbsthilfe und Selbstorganisation sind die intendierten Folgen (Vgl. Munsch 2003).
Die politische und rechtliche Ermöglichung sozialökonomischer Selbstorganisation oder deren sozialpolitische Förderung, wie sie beispielsweise in Italien praktiziert wird, scheint im etatistischen Deutschland nur schwer vorstellbar. Sie hätte auch in Italien nicht die dauerhafte Kraft entfalten können ohne das intensive Zusammenspiel von unterschiedlichen weltanschaulichen und berufsständischen Organisationen der Zivilgesellschaft, die gemeinsam gegenüber dem wirtschaftlichen und politischen System durchsetzungsfähig wurden. Die Entwicklung der Genossenschaften mit sozialer Zielsetzung in Italien ist ein überzeugendes Beispiel für den Erfolg aktiver staatlicher Förderung sozialökonomischer Selbstorganisation als gestaltende Sozialpolitik. Diese Kooperativen nehmen soziale, bildungsspezifische und gesundheitsbezogene Aufgaben wahr, verfolgen die Integration Benachteiligter ins Erwerbsleben oder kombinieren Dienstleistungen im sozialen und gesundheitlichen Bereich mit Beschäftigungs-integration. Neben der teilweisen Entlastung in den Bereichen Einkommenssteuer, Sozialabgaben und Beiträgen für Versicherungen und Pensionskassen, werden die Sozialgenossenschaften finanziell gefördert und verfügen über eine eigene kooperative Infrastruktur auf regionaler und überregionaler Ebene.
Einen interessanten Schritt hin zu Formen gestaltender Sozialpolitik entwerfen Böhnisch und Schröer im Zusammenhang mit den Möglichkeiten sozialproduktiven bürgerschaftlichen Engagements im Alter. „Da alte Menschen nicht mehr in den Rollenzwängen der Arbeitsgesellschaft aber auch der Familie stehen, verfügen sie über experimentelle Spielräume, die jüngeren nicht zur Verfügung stehen, und die aktiviert werden können. Damit könnte dem Alter eine Bedeutung als Sozialgruppe im Aufbau regionaler Sozialökonomien zukommen. (…) Warum sollten ältere Menschen nicht in der Lage sein, im ländlichen Raum Dienstleistungen – vom Gemischtwarenladen bis zu sozialen Betreuungsangeboten – anzubieten. Sie brauchen ihre Angebote und ihre Arbeit nicht zu rationalisieren, im Gegenteil, sie könnten sozial gehaltvolle Dienstleistungen übernehmen. (…) Der besondere Wert solcher regionaler Ökonomien besteht darin, dass sich sowohl auf der Produzenten- wie auf der Konsumentenseite die Menschen einbringen und soziale Beziehungen knüpfen können. (…) Vom neuen Alter her könnten auch Intergenerationenmodelle aufgebaut werden, welche arbeitsteilig funktionieren und die sich inzwischen eingeschlichene marktgesellschaftliche Generationenkonkurrenz überwinden helfen könnten.“ (Böhnisch und Schröer 2002, S. 97.)
Ältere Menschen müssten finanziell abgesichert sein, um ihre Potentiale einbringen zu können. Sie könnten zu Trägern sozialproduktiver Innovation in der Bürgergesellschaft werden, haben dadurch die Möglichkeit, ihre im Lebenslauf erworbenen beruflichen und sozialen Kompetenzen zu entfalten und brauchen dabei auch Konflikte nicht zu scheuen. Um dieses Konzept des sozialproduktiven Engagements im Alter zu realisieren, müsste die traditionelle Betreuungskultur des Alters sozialökonomischen Ermöglichungsstrukturen weichen.
Die neuen sozialökonomischen Assoziationen sind in den westlichen Industriestaaten weitgehend getragen von organisationsfähigen Bürgerinnen und Bürgern, die jedoch auch in solidarökonomischen Formen – z.B. in Sozialgenossenschaften – für und mit benachteiligten Menschen um deren Teilhaberechte kämpfen. Die Möglichkeiten der Selbsthilfe verlaufen entlang der Demarkationslinien sozialer Ungleichheit und in den Wohlfahrtsstaaten stehen den Bemühungen um selbst bestimmte Teilhabe Benachteiligter auch die Eigeninteressen der Organisationen entgegen, die für sich in Anspruch nehmen, Interessenvertreter der Armen und Benachteiligten zu sein.
Assoziationen zeichnen sich durch die Prinzipien der Freiwilligkeit des Zusammenschlusses, der Solidarität und Gleichberechtigung ihrer Mitglieder aus. Als gemeinschaftsbasierte Organisationsformen sind sie jedoch auch ausschließend und nur im Kontext sozialer Politik als Zugewinn an Freiheitsgraden und existenzieller Sicherheit zu werten. Diese stellt Ressourcen zur Lebensbewältigung zur Verfügung, die von Menschen in ihre bereits aktiven Strategien einbezogen werden können, aber nicht müssen. Diese Ressourcen sind notwendig, reduziert werden müssen ihre Konditionalitäten und Zugangsbarrieren.
Gestaltende Sozialpolitik müsste von folgenden grundlegenden Prämissen ausgehen:
Sie verteidigt die sozialen und ökologischen Lebensinteressen und stellt diese über Eigentumsinteressen.
Sie ermöglicht sozialproduktive Teilhabe durch selbstorganisierte und gemeinschaftliche Aktivitäten im sozialen Umfeld sowie Teilhabe an sozialen Beziehungen und Kommunikation in allen relevanten gesellschaftlichen Bereichen.
Das Soziale ist integraler Bestandteil sozialökonomischer Lösungen. Soziale Probleme werden nicht als der Ökonomie extern betrachtet und bearbeitet.
Öffentliche Aufgaben werden in pluralen und demokratischen Formen – z.B. in Multi-Stakeholder-Unternehmen – effektiv und synergetisch organisiert.
Soziale Kommunalpolitik nutzt materielle Ressourcen und Sozialkapital in sozialproduktiver Weise, generiert und bewirtschaftet materielle Ressourcen und Sozialkapital.´
Sie eröffnet Lernmöglichkeiten und Möglichkeitsräume für das Experimentieren mit neuen Ansätzen gesellschaftlicher Problemlösung auch und insbesondere da, wo Menschen in Ausgrenzung leben. Erforderlich sind neue Organisationsformen insbesondere im Wirtschaftssystem, im Bildungssystem und im politisch-administrativen System (Sommerfeld 2004, S. 247).
Sie orientiert sich an einer pluralen Ökonomie, die der Befriedigung menschlicher Bedürfnisse dient und die ökologischen Grenzen respektiert.
Sie bedarf der Möglichkeit eigenständiger Ressourcengenerierung durch Agieren im Markt und in nicht-marktförmigen Ökonomien für soziale Zielsetzungen.
Vor dem Hintergrund von Massenarbeitslosigkeit ist die Entlastung der betroffenen Menschen von erpressenden Existenznöten durch eine garantierte Grundsicherung und vom entwürdigenden Zwang zur Arbeit als Gegenleistung für Transfergelder erforderlich. Die teilweise Entkoppelung von Erwerbsarbeit und Einkommen ist Basis für die Herausbildung neuer sozial eingebundener Ökonomien.
Das Sozialpolitische entwickelt sich in kollektiven Ansätzen der Bewältigung sozialer Probleme. Die Assoziation von Menschen in vergleichbaren Betroffenheitslagen birgt prinzipiell politische Spreng- und Gestaltungskraft. Heute, ebenso wie in der Zeit der sich formierenden Arbeiterbewegung, ist die Erfahrung und Reflexion gleicher Betroffenheitslagen und gemeinsamer Interessen Voraussetzung kollektiver Handlungsfähigkeit. Sie ist, so Böhnisch und Schroer, Grundlage der historischen Bewegungsgesetzlichkeit des Sozialpolitischen, die unter den Bedingungen des entfesselten Kapitalismus und der tendenziellen Überflüssigkeit menschlicher Arbeitskraft neu herauszufordern ist (Böhnisch und Schroer 2002, S. 146).
Der neuen Enteignungsökonomie stehen in allen Weltregionen kollektive Akteure gegenüber, die grundlegende Lebensrechte zu verteidigen suchen und sozial eingebundene Ökonomien als Gegenentwürfe realisieren. Sie sind Teil einer neuen sozialen Politik von unten, die trotz heftiger Widerstände auf längere Dauer sozialen Wandel zeitigen wird. Es geht unter den veränderten historischen Bedingungen nicht nur um die Wiedergewinnung politischer Regulierung der Marktkräfte und den Schutz von Menschen und Gemeinwesen vor ihren Übergriffen, sondern um die Herausbildung und Erhaltung pluraler, in die Lebenswelten eingebundener Formen einer eigenständigen Ökonomie des Gemeinwesens.
[1] Dieser Begriff stammt von Peter Ulrich (1997)
[2] Dabei ist deutlich zu unterscheiden zwischen sozial eingebundenen, überwiegend kleinen Unternehmen und der weltmarktorientierten Ökonomie. Die ersten sind als relevante AkteurInnen des Gemeinwesens einzubeziehen.
[3] Weiter führende Diskussionen zu den hier aufgeführte Fragen in Elsen (2007).
[4] Der Begriff findet sich in nahezu allen Programmen beschäftigungsorientierter Problemlösungen in ländlichen und städtischen Krisenregionen (z.B. das Programm „Soziale Stadt“) (vgl. Elsen 2005).
[5] Die im Mai 1982 verabschiedete Charta der Économie Sociale umfasst sieben Artikel, die die Koordinationsprinzipien des Sektors konkretisieren.
[6] Frankreich hat seit 1999 ein Staatssekretariat für diesen Sektor.
[7] Zur Bedeutung und Wirkung des Steuerungsmodus Solidarität vergleiche Habermas (1985), S.158.
[8] Eine umfassende Darstellung dieser Vielfalt assoziativer Formen und ihrer Entstehungshintergründe in: Elsen (2007).
[9] Zur Ideengeschichte der Gemeinwesenökonomie: Elsen (1998), S. 64f.
[10] Die „Rochdaler Pioniere“ formulierten vor 150 Jahren die bis heute gültigen Prinzipien genossenschaftlichen Wirtschaftens auf der Basis gemeinschaftlichen Nutzungseigentums
[11] Bemerkenswert sind z.B. die Gründungen des Frauennetzwerks zur Arbeitssituation Kiel.
[12] Eine Dokumentation gemeinwesenorientierter Geldsysteme in Elsen (2007)
[13] Dazu gehören beispielsweise die Ökonomien der indigenen Gemeinschaften im Regenwald.
[14] Der „intermediäre Bereich“ ist ein weniger hierarchischer Begriff, der die Organisationsformen im „zwischen“ bezeichnet.
[15] Mit dieser Definition bezieht er sich u.a. auf: Cohen und Arato (1994).
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Dr. Susanne Elsen is Professor and Head of the Department for Applied Social Studies at the University of Applied Sciences in Munich/Germany and director of the European Master Programme in “Community Development, Quarter Management and Local Economy“< www.macd.fhm.edu >
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